Marketing ist für viele Bergbahn-Unternehmungen ein Fremdwort.
Ab und zu ein Miniatur-Inserat in der Lokalzeitung oder - wenn's hoch
kommt - in der Reisebeilage des Tages-Anzeiger, vielleicht noch ein paar
Plakate im nächsten Einkaufszentrum und bei der SBB-Station, ein
kleiner Faltprospekt sowie ein Kleber, und Schluss. Die Pilatus-Bahn-Gesellschaft
hat es fertiggebracht, mit ihrem 100-Jahr-Jubiläum während des
ganzen Jahres 1989 in den Medien präsent zu sein
Das Radio DRS widmet seine ganze «Samstags-Palette»
der Pilatusbahn. Luzern erstrahlt unter den Blitzen eines riesigen Feuerwerks.
Bahnstationen und Bank-Foyers werden zu Kunstausstellungen. Der Verwaltungsrat
der Pilatusbahn stürzt sich bis auf den letzten Mann in 100jährige
Monturen und lässt sich fotografieren. Der Top-Flötist James
Galway gibt ein Konzert auf dem Pilatus. Ein eigener Schnaps wird kreiert.
Die Pilatus-Sinfonie für drei Alphörner und 25 Streicher wird
uraufgeführt.
Das sind einige der Aktionen und Gags, mit denen die Pilatusbahn
ihr 100-Jahr-Jubiläum ans Publikum brachte. Mit der Folge, dass die
in- und ausländische Presse während des Jahres 1989 immer wieder
und so intensiv über den Pilatus und seine Schönheiten berichtete
- die Zeitungsausschnitte füllen mehrere Ordner -, dass man ein ganzes
Jahr lang hätte meinen können, die Schweiz bestehe nur aus diesem
Berg. Rigi, Titlis, Stanserhorn und überhaupt der ganze Rest der
Innerschweiz hatte eine grosse «2» am Rücken.
«Eine gute Leistung», hören wir schon die
Direktoren anderer Bahnen klagen, «aber wir sind eben nicht die
Pilatusbahn. Nur eine ist die steilste Zahnradbahn der Welt, 100jährig
sind wir auch noch lange nicht, und Geld für eine Riesenkampagne
haben wir schon gar keines».
Richtig und falsch zugleich. Falsch, weil man ja nicht einfach
andere zu kopieren braucht; es gibt andere «Aufhänger»
als eine technische Besonderheit oder ein rundes Jubiläum, und auch
in Sachen Budget soll man nicht einfach kopieren, sondern eigene Lösungen
finden.
Deswegen können unseres Erachtens auch andere Bahnunternehmungen
von der Pilatusbahn profitieren. Denn die Art und Weise, wie dieses Jubiläum
von A bis Z «durchgezogen» wurde, ist auch im Grundsätzlichen
beispielhaft.
PUNKT 1: USP DEFINIEREN
Es fing damit an, dass die ganze Ü-bung sehr langfristig
geplant wurde und keine einzige Aktion improvisiert werden musste. Wann
die Idee geboren wurde, ist nicht mehr rekonstruierbar. Fest steht jedoch,
dass der damalige Verwaltungsratspräsident Rudolf Krieger im April
1986 die Zürcher PR-Agentur PRW (Public- Relations und Werbe AG)
mit der Planung und Koordination der Aktionen beauftragte. Die PRW wurde
gewählt, weil deren Mitinhaber Toni Glanzmann waschechter Luzerner
ist und nicht nur den Pilatus, sondern auch den sozialen, wirtschaftlichen
und politischen «Kuchen» der Leuchtenstadt bestens kennt.
Glanzmann und seine Leute hatten also für Planung und Realisierung
der Aktion volle drei Jahre Zeit - merke: Hasten bringt nichts in diesem
Gewerbe!
Als ersten Schritt galt es, die Pilatusbahn zu positionieren,
wie die Werber sagen, oder auf neudeutsch, ihre USP zu definieren. Insider
sagen «Juu-Ess-Pii» und geben damit zu erkennen, dass sie
wissen, was das heisst: «Unique Selling Proposition». Das
heisst, frei übersetzt, «unverwechselbares Verkaufsargument».
Zur Illustration: Man kann mit der Pilatusbahn einem grauen
Nebeltag entfliehen. Das wäre aber ein schlechtes Werbe- oder Verkaufsargument,
weil es nicht unverwechselbar, nicht einmalig (unique) ist, denn mit der
Säntis- oder der Diablerets-Bahn, ja sogar mit der Luftseilbahn Adliswil-Felsenegg
kann man das auch. Einmalig und unverwechselbar sind jene Eigenschaften,
welche eine Bahn von allen anderen unterscheiden - und die muss man zum
Zentrum eines Informationsauftritts machen.
Im Fall der Pilatusbahn entschied man sich für die beiden
USPs «100-Jahr-Jubiläum» und «Steilste Zahnradbahn
der Welt». Andere Bahnen haben andere USPs. Bei der Jungfraubahn
kreist alles um die Aussage «Top of Switzerland», und das
Schilthorn lebt heute noch von der Tatsache, dass dort oben vor vielen
Jahren einmal ein kleiner Teil eines James-Bond-Films gedreht wurde. Beide
Unternehmungen hätten natürlich auch viele andere attraktive
Verkaufsargumente, stellen aber richtigerweise nur jeweils eines (oder
ganz wenige) in den Vordergrund.
Eine USP sollte man nie kopieren wollen, sondern immer «von
innen heraus» entwickeln. Eine Bahn kann nicht nur die steilste
sein, sondern auch die flachste; nicht nur die älteste einer Bauart,
sondern auch die modernste. Eine Bahn ist vielleicht besonders lang oder
kurz, führt in (oder über) ein speziell schönes Gebiet,
in eine historisch interessante Gegend (Ebenalp mit dem Wildkirchli!);
sie hat Snob-Appeal (St.Moritz) oder im Gegenteil eben gerade keinen (Familienbahnen
wie Gantrisch, Gommiswald), und so weiter. Grundsätzlich gilt: jedes
Produkt und somit auch jede Bergbahn hat eine USP, um die herum sich eine
einzigartige Kampagne aufbauen lässt!
Ist die USP gefunden und definiert, so gilt es als nächstes
festzulegen, wen man mit einer Kampagne ansprechen will. Die Fachleute
nennen das «den Markt segmentieren».
DREI SEGMENTE, DREI (ABGESTIMMTE) STRATEGIEN
Bei der Pilatusbahn entschied man sich, drei Gruppen getrennt
und auf unterschiedliche Weise anzusprechen:
- Die Ausflugs-Touristen, vornehmlich im näheren Einzugsgebiet sowie
in jenen Teilen der Schweiz, von denen aus der Pilatus bequem zu erreichen
ist;
- Die Gruppen-Touristen, vornehmlich im Ausland;
- Die lokale Bevölkerung (auch die nichtreisende).
Für die Ausflügler stand die Ausage im Mittelpunkt,
dass der Pilatus näher liegt als man oft denkt. Zentrale Aussage:
«Der Pilatus ist nur einen Katzensprung entfernt». So wurde
u.a. auf dem Zürcher Paradeplatz ein klassischer gelber Wanderweg-Wegweiser
aufgestellt, auf dem statt der Wanderzeiten die Reisezeiten mit den verschiedenen
Verkehrsmitteln zum Pilatus angegeben waren. Die Aktion schlug ein, und
mehrere Zeitungen brachten ein Bild des Wegweisers.
Als unterstützende Massnahme wurden in den angepeilten
Gebieten zahlreiche Pilatus-Plakate ausgehängt - aber nur dort, wo
man die Ausflügler wirklich sucht, also zum Beispiel entlang der
Autobahn bis Basel, aber nicht etwa im St.Galler Rheintal (dort ist der
Säntis das naheliegende Ausflugsziel). Unterstützt wurden diese
Massnahmen durch Radio-Werbespots in reinem Luzerner Dialekt (Typus «De
Pilatus isch rüdig verreckt»).
Weil Gruppenreisende hauptsächlich aus dem Ausland kommen,
wurde für diese Zielgruppe in der Schweiz praktisch nichts unternommen.
Die Agentur PRW konnte sich für die entsprechenden Auftritte in den
Heimatländern der Pilatus-Reisenden auf Partnerfirmen in der ganzen
Welt stützen. Ihr Ziel war es, möglichst viele und gute Reportagen
über den Pilatus, die Pilatusbahn sowie alles Drumherum zu erreichen;
zu diesem Zweck wurden ausländische Journalisten eingeladen und betreut.
Die lokale Bevölkerung schliesslich war «Hauptperson»
in diversen Festen, von denen das grosse Luzerner Seenachtfest (mit Feuerwerk
und Pilatus-Illumination) das attraktivste war. Ausserdem wurden mehrere
Wettbewerbe ausgeschrieben («Wie viele Zähne hat die Zahnstange
der Pilatusbahn?» und ähnliche Fragen), Kunstausstellungen
und Konzerte veranstaltet. Die Aktionäre erhielten eine Extradividende
und die Angestellten eine Treueprämie.
Diese Segmentierung des Marktes (so nennen Marketingleute
die wirtschaftliche und soziale Umwelt) ist bei jeder Kampagne einer der
ersten und wichtigsten Schritte, denn sie bestimmt, welche Aktionen und
Informationen später am Platze sind. Wäre etwa die Wirtschaft
(Anleger, Banken und so weiter) als Zielsegment ausgewählt worden,
so wären logischerweise auch ökonomische Informationen und Aktionen
angebracht gewesen. Ein solches Vorgehen hätte sinnvoll sein können,
wenn die Pilatusbahn vor grossen Investitionen stehen würde und in
absehbarer Zeit einen entsprechenden Finanzbedarf hätte. Die Marktsegmentierung
ist also, genau wie die Wahl der USP, eine höchst individuelle Angelegenheit,
und Kopieren bringt nichts.
DAUERFEUER
Nachdem also USP und anzusprechende Marktsegmente definiert
waren (beides geschah, wohlverstanden, bis zu drei Jahre vor dem Ereignis),
waren die einzelnen Aktionen zu definieren. Ihr Ziel ist im Prinzip ganz
einfach zu beschreiben: Auf direktem oder indirektem Weg (via Presse)
soll das jeweils angepeilte Marktsegment in positiver Weise an den Pilatus
und seine Bahnen erinnert werden.
Von Anfang an stand fest, dass das 100-Jahr-Jubiläum
eine ganze Saison lang «ausgekostet» werden sollte. Dazu brauchte
es einerseits eine Vielzahl von Einzelaktionen, die immer wieder so neu
waren, dass sie nicht als «déjà-vu» empfunden
würden, und anderseits eine Klammer, welche diese Aktionen zu einem
einheitlichen Ganzen zusammenbinden würde.
Als Klammer wählte die Pilatusbahn das hier wiedergegebene
Signet, welches in einfacher Weise die beiden USPs Jubiläum und «Steilste
Zahnradbahn») verbindet. An sich eine schlichte Sache - wäre
das Signet nicht konsequent schräg wiedergegeben worden. Dazu Glanzmann:
«Diese Schräglage ist der Gag. Wir nannten das Signet einen
Spielverderber. Es musste auf Plakaten, Drucksachen und so weiter immer
so angebracht werden, dass es störte und dadurch auffiel.»
Also ganz bewusst keine Harmonie - das Signet war, an den Gesetzen der
Grafik gemessen, immer entweder zu gross, an einem unpassenden Ort oder
sonstwie «gegen den ästhetischen Strich». Und es tauchte
während des ganzen Jubiläumsjahres konsequent immer auf, wenn
von der Pilatusbahn die Rede war.
Erst als letztes kamen dann die verschiedenen Aktionen an
die Reihe, welche schliesslich für das Publikum sicht- und erlebbar
waren. Sie waren, da die Aktion einen ganzen Sommer lang «hinhalten»
sollte, extrem vielfältig. Dazu Glanzmann: «Man darf die Journalisten
nicht bedrängen oder überfahren. Sie müssen aus eigenem
Antrieb etwas schreiben, und das tun sie nur, wenn sie gute und immer
wieder neue Informationen erhalten.»
So stand denn einmal das exklusive Zahnstangensystem der Pilatusbahn
im Mittelpunkt der Oeffentlichkeitsarbeit, ein anderes Mal der Pilatus
als Zentrum der Musikkultur. Dann der historisch eingekleidete Verwaltungsrat
(übrigens eines der meistpublizierten Bilder der ganzen Kampagne),
später
die Tatsache, dass die Pilatusbahnen vollständig rollstuhlgängig
sind. Glanzmann nennt das «sequentierte Information»: Indem
man das gleiche Thema immer unter einem anderen Blickwinkel angeht, schafft
man für die Medien fortwährend neue Themen und erhöht dadurch
den Beachtungsgrad. Das funktioniert aber natürlich nur bei sorgfältiger
Planung!
KOSTEN: JE NACH BEDARF UND MÖGLICHKEITEN
Natürlich ist eine solche Aktion nicht gratis. Weder
Glanzmann noch die Pilatusbahnen wollten der BERG FAHRT gegenüber
Zahlen nennen, doch dürfte der Gesamtbetrag nach Meinung von Branchenkennern
weit über einer Million Franken liegen. Klar, dass solche Grössenordnungen
für einen kleineren Betrieb nicht drinliegen.
Das ist jedoch noch kein Grund zur Resignation. Erstens
hat auch die Pilatusbahn nicht alles selber bezahlt. Teure Aktionen wie
zum Beispiel die Komposition der Sinfonie für drei Alphörner
und 25 Streicher wurden von American Express finanziert und werblich «mitgenutzt».
Solche Koproduktionen sind auch für andere Bahnen denkbar; geeignete
Partner sind Kreditkartenorganisationen (sie haben Geld und stehen in
einem sehr harten Wettbewerb untereinander), lokale Hotels, Mietwagenfirmen,
Banken oder lokal stark verankerte Unternehmungen wie Brauereien (Calanda
für Bündner Bahnen) oder ähnliche.
Zweitens hat auch die Pilatusbahn das Geld nicht einfach
herzaubern können. Dank der langfristigen Planung konnten indessen
während dreier Jahre Rückstellungen gemacht werden, so dass
das Ganze leichter zu verkraften war.
Drittens kann eine Kampagne auch billiger und dennoch wirksam
sein. Der Schneeskulpturen-Wettbewerb von Hoch-Ybrig ist fast gratis und
bringt dennoch regelmässig eine gute Pressepräsenz. Schon ein
simpler «Gratistag für Familien» kann bei der lokalen
Bevölkerung wertvollen Goodwill schaffen.
Es gilt eben auch hier: Kreativität ist gefragt, imitieren
bringt nichts. Man stelle sich vor, die Luftseilbahn Fiesch-Eggishorn
würde versuchen, die Pilatus Aktion zu kopieren - es würde eine
Blamage. Sie hat andere USPs (unter ihnen den schönsten Gletscher
der Alpen) und andere Marktsegmente. Vergleichbares gilt für alle
anderen Bahnen.